Ärztin mit Kopftuch – Ein Erfahrungsbericht
Alhamdollilah. Die Probezeit ist fast geschafft. Hinter mir liegen sechs Monate in der Anästhesie, reich an Erfahrungen und Emotionen, die von einer regelrechten Euphorie bis hin zur absoluten Verzweiflung reichen. Jeder, der schon einmal in einem Krankenhaus gearbeitet hat, weiß, dass man vor allem eins braucht: starke Nerven! Doch das ist ein recht komplexes Thema und sicherlich einen eigenen Post wert.
Nun ja, wie ist es mir in den letzten Monaten als Ärztin mit Kopftuch und vor allem dabei als erste Ärztin in unserem Krankenhaus, wie mir die Betriebssärztin ganz aufgeregt berichtete, ergangen? Und wie habe ich den Weg in die Klinik gemeistert?
Die Antwort ist eigentlich ganz einfach: Mit Dua und dem Vertrauen in Allah, dass er meine Absichten kennt und mir den rechten Weg weisen wird.
Zu meiner Person: Ich bin 29 Jahre alt, verheiratet und habe einen 3-jährigen Sohn. Zudem lebe ich in Frankreich, in der Nähe zur deutschen Grenze und war auf der Suche nach einem Krankenhaus in Deutschland, in dem ich meinen beruflichen Einstieg wagen konnte. Ich schaute mich im Internet um und wurde auf eine Stelle in der Anästhesie, ca. 40 km von meinem Wohnort entfernt, aufmerksam. Zwar war die Anästhesie nicht unbedingt meine erste Wahl, doch erschien mir ein Berufseinstieg mit Perspektive auf geregelte Arbeitszeiten und der Möglichkeit zur problemlosen Teilzeitbeschäftigung vor allem als arbeitende Mutter sehr reizvoll. Also machte ich mich an die Fertigstellung meiner Bewerbungsunterlagen. Und da stellte sich mir die erste Hürde:
Sollte ich ein Bewerbungsfoto mitschicken?
Ich recherchierte im Internet zum Thema Bewerben mit Kopftuch und las einige Empfehlungen, die sich klar dagegen aussprachen. Die Begründung lautete, dass man sich so die Chance verspielte zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden. Nun gut. Die Begründung erschien mir sinnvoll. Doch war ich keineswegs überzeugt. Ich wusste, dass es nicht einfach sein würde eine Stelle mit Kopftuch zu bekommen. Doch war ich mir einer anderen Sache umso stärker bewusst. Ich erinnerte mich an die Worte unseres geliebten 5. Khalifen (Möge Allah seine Hand stärken), die ich jetzt nur noch sinngemäß wiedergeben kann, dass wir in unserem Streben nach weltlichem Wissen niemals vergessen sollten, wozu wir uns dieses Wissen aneignen.
Ich war also fest dazu entschlossen, dass ich diesen Weg nur unter Aufrechterhaltung meiner Identität und Integrität als Muslima gehen wollte und bat als erstes unseren geliebten Khalifen (Möge Allah seine Hand stärken) um Dua. Ich selbst widmete mich ebenfalls verstärkt dem Gebet und war fest davon überzeugt, dass Allah mir den rechten Weg weisen würde.
Und ja, ich schickte meine Bewerbung mit einem Foto mit Kopftuch ab, um meinem künftigen Arbeitgeber die Chance zu geben, sich auf mich einzustellen. Außerdem konnte ich so recht sicher sein, dass ich gar nicht erst zum Vorstellungsgespräch eingeladen werden würde, falls sich ein Chef kategorisch gegen eine Mitarbeiterin mit Kopftuch stellte.
Und so kam es, dass ich bereits am folgenden Tag zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wurde und sogar eine Stelle für mich neu verhandelt wurde, da offiziell die ausgeschriebene Stelle schon besetzt war. Alhamdollilah (Aller Preis gebührt Allah).
Ich erinnere mich, dass mich die Betriebsärztin bei meiner medizinischen Untersuchung sehr skeptisch fragte, warum ich denn mit Kopftuch arbeiten wolle. Ich fragte sie, was dagegen sprechen würde und sie antwortete, dass das Kopftuch bei vielen Menschen mit einem sehr negativen Frauenbild, nämlich dem einer unterdrückten Frau assoziiert sei. Also fragte ich die Betriebsärztin, wie viele unterdrückte, eingeschüchterte Frauen sie kannte, die erfolgreich ihr Medizinstudium abgeschlossen hatten. Daraufhin lächelte sie mich an und wünschte mir Glück für den Berufseinstieg.
Natürlich können wir unsere Kopftücher für die Zeit in der Klinik ablegen, unsere Arbeit verrichten und danach diese wieder anziehen und der Jamaat trotzdem in vielen Bereichen dienen. Aber wir müssen uns die Frage stellen, was uns davon abhält, dabei zu bleiben und den Weg als Angestellte mit Kopftuch zu gehen? Entgeht uns da nicht eine riesige Chance unseren Mitmenschen zu zeigen, dass wir anders sind als das, wofür uns unsere Mitmenschen halten?
Und zurecht: Solange die Menschen in diesem Land keine Ärztinnen, Krankenschwestern, Forscherinnen oder andere gebildeten, selbstbewussten Frauen mit Kopftuch kennenlernen, können wir über die Rechte der Frau im Islam reden so viel wir wollen. Nichts ist effektiver als mit gutem Beispiel voranzugehen – mit einem Beispiel für gelungene Integration.
Alhamdolillah, wir haben heute die Chance, in einem Land leben zu dürfen, in dem wir nur durch unseren Fleiß und unsere harte Arbeit jedem Beruf nachgehen können, der uns beliebt. Also lasst uns die Chance nutzen, unsere Dankbarkeit zu zeigen, in dem wir zu kompetenten und engagierten Ärztinnen und Angestellten im medizinischen Bereich werden und unseren Mitmenschen zeigen, dass wir eine Bereicherung für dieses Land und diese Berufe sind – nicht TROTZ, sondern AUFGRUND unseres Glaubens!
Meine Erfahrung der letzten sechs Monate hat mir gezeigt, dass die Mehrheit meiner Kollegen und Patienten sehr positiv auf mich reagiert haben.
Da wir von unseren Mitmenschen und Kollegen als Muslima erkannt werden, hilft uns das Kopftuch zusätzlich, uns in der Praxis unseres Glaubens weiterzuentwickeln. Denn wir üben nun auch eine gewisse repräsentative Rolle aus und sind tagtäglich dazu gezwungen, unsere Handlungsweisen in Frage zu stellen, was uns folglich dazu hilft, zu besseren Gläubigen zu werden.
Wenn wir den Lehren des Islams treu bleiben, strahlen wir automatisch alle Kompetenzen und Qualitäten aus, die von einer vorbildlichen Kollegin und einem guten Mitmenschen erwartet werden. Möge Allah unser Helfer sein und uns dazu befähigen. Amin